Dass Lukas Göbel mit seinem Master in „Digital Business and Strategy“ in der Tasche bei einem Industriekonzern anheuert, war so nicht geplant. Doch dann hat ihn – wie so oft – die Aufgabe gereizt. Eine „grüne Wiese“ beackern, etwas Neues, Visionäres aufbauen: Das liegt dem 31-Jährigen, der nach seiner Ausbildung das erste Unternehmen gründete und seit 2021 als Product Innovation Manager bei thyssenkrupp Materials Services arbeitet. Auch die Automotive Circularity Platform ist eins von diesen „First of kind“-Projekten. Ein Interview über digitale Vernetzung, sortenreinen Schrott – und private Ausflüge in Geschichte und Politik.
„Im Kern entwickle ich digitale Geschäftsmodelle und Produkte. Bei Materials Services wollen wir unsere Kunden künftig nicht nur zuverlässig mit Werkstoffen versorgen, sondern auch Informations- und Datenströme nutzbar machen, die parallel zu jedem Materialstrom entstehen. Denn in diesen Daten liegt häufig ein Mehrwert für Kunden. Welcher genau, ist eine Frage, mit der wir uns im Innovation Product Management beschäftigen. Von der Bewertung der ersten Idee bis zur Entwicklung von konkreten Lösungsansätzen. Und die arbeiten wir dann systematisch weiter aus, bis das Produkt nach und nach alle gewünschten Kunden- und Marktanforderungen erfüllt.“
„Mit der ACP wollen wir Materialien aus Altfahrzeugen zurück in die automobile Wertschöpfungskette führen. Die Idee dafür entstand in einem Gespräch mit Novelis und nun planen wir, das Thema anzugehen. Was man dazu wissen muss: Novelis steht als Hersteller von Flachwalzaluminium vor ähnlichen Herausforderungen wie viele andere Industrieunternehmen. Das sind zunächst hohe Energiepreise und mögliche zukünftige CO2-Ausgleichskosten. Hinzu kommen gesetzliche Anforderungen, z. B. im Rahmen der EU-Kreislaufstrategie. Und nicht zuletzt hat sich das Unternehmen ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele gesetzt. Also hat Novelis ein großes Interesse daran, den CO2-Fußabdruck seiner Produkte weiter zu reduzieren. Und das lässt sich am besten durch den verstärkten Einsatz von Sekundärmaterialien realisieren. Werkstoffe, die bereits ein Produktleben hinter sich haben und die durch Recycling zurückgewonnen werden.“
„Exakt. Das Problem ist nur, dass diese Materialien bislang nicht zurück in den Produktionsprozess der Hersteller gelangen. Das Aluminium, das Novelis für die Automobilindustrie produziert, wird zwar nach der Verschrottung des Fahrzeugs in irgendeiner Form wiederverwendet, aber das entscheidende Stichwort ist „in irgendeiner Form“. Es gibt keinen geschlossenen Kreislauf, der dafür sorgt, dass z. B. aus einem Aluminiumblech für eine Karosserie nach dem ersten Lebenszyklus wieder ein Aluminiumblech für eine Karosserie wird. Und das wollen wir mit der Automotive Circularity Platform ändern. Unser großes Ziel ist es, die Sortenreinheit und damit die Qualität der Schrotte so zu erhöhen, dass wir sie in der Produktion wieder einsetzen können. Und dazu braucht es mehr Transparenz in der Wertschöpfungskette und ein völlig neues Ökosystem.“
„Genau. Dieses neue Ökosystem soll sich künftig um die Logistik und um die end-to-end Rückverfolgbarkeit der Materialien entlang der Wertschöpfungskette kümmern. Wir wollen eine neue Transparenz im Markt schaffen und das Material für die Industriekunden verfügbar machen.“
„Wir arbeiten mit einem kleinen Set an Pilotkunden zusammen und sammeln Materialien. Bis Ende Oktober 2024 wollen wir die ersten 250 Tonnen Flachwalzaluminium aus Altautoschrotten generieren und sammeln. Die sollen dann weiteren Recyclingprozessen zugeführt werden, um daraus möglichst schnell einen kompletten Use Case zu machen. Das heißt, wir wollen einmal in der Realität unter Beweis stellen, dass es funktioniert, mit einem sehr hohen Recyclingkontingent aus Altfahrzeugschrotten erneut hochwertige Bleche für die Automobilindustrie zu erzeugen. Gleichzeitig planen wir unser digitales Plattformprodukt weiter auszubauen. Das soll sich sozusagen immer Hand in Hand entwickeln. Wir sammeln also gerade die Erfahrungen, um die angedachte Lösung im nächsten Schritt zu skalieren. Wir gehen davon aus, dass die Automotive Circularity Platform in den nächsten zwei bis drei Jahren einen großen Schritt in den Markt machen wird.“
„Wenn man auf meinen Lebenslauf guckt, wäre ein Industriekonzern wahrscheinlich nicht der nächste logische Schritt gewesen. Ein bisschen Zufall war auch dabei. Ich traf meinen jetzigen Vorgesetzten, Sebastian Smerat, als er gerade den Innovationsbereich übernommen hatte und dort etwas vollkommen Neues aufbauen wollte. Eine grüne Wiese, sozusagen. Und daraus entstand die Idee, dass ich dabei unterstützen könnte. Das fand ich sehr spannend, noch dazu in einem so großen Konzern. Deswegen bin ich auch drei Jahre später noch hier.“
„Ja, schon. Auch, wenn ich manchmal finde, dass ich mir mehr analoge Auszeiten nehmen sollte. Aber ich habe schon viel Spaß daran, digitale Tools auszuprobieren. Letzte Woche habe ich mein erstes Balkonkraftwerk installiert und natürlich gleich ans Smart Home gekoppelt. Ich mag smarte Vernetzungen. Technologie kann unser Leben so viel besser machen, wenn wir sie richtig einsetzen. Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern ein ganz großer Enabler, um Dinge anders, besser und effizienter zu machen. Also ja, die Leidenschaft für Digitales zieht sich bei mir durch.“
„Beim Fußball. Und ich interessiere mich sehr für Politik und Wirtschaft. Für rechtliche Themen, für Geschichte, für Neurowissenschaften. Also, es darf thematisch durchaus exotisch werden. Hauptsache, es wird nicht langweilig und hat nichts mit den Fragen zu tun, die mich unter der Woche beschäftigen.“