„Agile Methoden helfen uns bei der Kundenzentrierung“
Dominique Feurich über Agilität auf Team- und Businessebene.
Ist Scrum die Antwort auf alles? Warum braucht Kooperation einen festen Rahmen? Was hat Agilität mit Veränderung zu tun? Als Head of Organizational Transformation und Agility Coach hat Dominique Feurich den Überblick darüber, was agile Ansätze in einem Unternehmen bewirken können. Denn seit etwa zwei Jahren beschäftigt sich thyssenkrupp Materials Services mit Methoden aus dem agilen Werkzeugkoffer – auch auf höchster Ebene. Im Interview gibt sie Einblicke in einen Lernprozess, der noch ganz am Anfang steht.
thyssenkrupp Materials Services ist ein großes Unternehmen mit gewachsenen Hierarchien. Mit Agilität verbindet man dagegen eher kleine flexible Teams. Wie passt das zusammen?
Wenn es um neue Aufgaben geht, sind agile Methoden oft eine gute Wahl: Sie geben vor, wie wir uns einem Problem nähern und eine Lösung finden können – ohne das Ergebnis vorwegzunehmen. Für ein Unternehmen wie unseres, das sich in einer Transformation befindet, ist das eine wichtige Ergänzung. Das bedeutet aber nicht, dass deshalb Hierarchien abgeschafft werden, denn sie sind ja erst mal nichts Schlechtes. Wenn eine Organisation eine bestimmte Größe hat, funktioniert Zusammenarbeit nicht ohne einen gewissen Rahmen und Ordnung.
Agilität hat für uns immer zwei Seiten: die Team- und die Organisationsebene. Sobald mehr als ein Team mit unterschiedlichen Methoden an einem Thema arbeitet, muss es einen Austausch geben. Dann sind wir bereits auf Unternehmensebene. Deshalb legen wir im Moment auch einen Schwerpunkt auf Business-Agilität – dabei geht es um die Fähigkeit eines Unternehmens, mit Veränderungen umzugehen, das digitale Geschäft voranzutreiben und Innovationen zu ermöglichen. Dafür arbeiten wir eng mit dem Vorstand zusammen und geben der Entscheidungsfindung einen festen Rahmen.
Was sind übliche Ziele, wenn Teams agile Arbeitsmethoden einführen, und wie gehen sie vor?
Team-Agilität ist für die meisten viel greifbarer als Business-Agilität. Trotzdem ist das Wissen um agile Methoden nicht besonders weit verbreitet. Viele Menschen denken erst einmal an Scrum – dabei eröffnet Agilität einen ganzen Werkzeugkoffer!
Wenn ein Team agil arbeiten möchte, gehen wir in der Regel nicht von der Methode, sondern vom Problem aus. Häufige Anlässe sind beispielsweise Herausforderungen in der „Time-to-market“, aber auch mangelhafte Qualität oder Prozesse, die nicht effizient genug laufen. Dann schauen wir uns an: Lässt sich das Problem überhaupt mit agilen Methoden angehen? Wie genau kenne ich die Anforderungen, die wir bzw. unsere Kund:innen an eine Lösung stellen? Dann können wir eine Hypothese über die Bedürfnisse aufstellen und schauen in regelmäßigen Iterationen, ob die Kundinnen und Kunden mit der Lösung etwas anfangen kann.
Was sind die Vorteile agiler Methoden?
Ein bekannter Vorteil ist die Selbstorganisation des Teams, das ständig im Austausch steht, Aufgaben verteilt, Transparenz herstellt und dadurch Bottlenecks reduziert. Wir sehen aber noch einen weiteren wichtigen Benefit: den Austausch mit den Kund:innen. Wer Kundenfeedback bereits einholt, während die Lösung entwickelt wird, hat eine viel höhere Erfolgsquote. Diese Teams können ihren Kurs früh korrigieren und in die richtige Richtung gehen. Deswegen helfen uns agile Methoden bei der Kundenzentrierung enorm weiter.
Welche Hürden und Herausforderungen begegnen Teams, die neu agile Methoden anwenden?
Da sind wir schnell wieder auf der Organisationsebene. Denn agile Methoden verändern nicht nur die Zusammenarbeit in Teams, sondern zum Beispiel auch Führungsaufgaben. Fachliche Entscheidungen werden ans Team abgegeben und die Führungskraft muss lernen loszulassen. Dafür hat sie jetzt mehr Zeit für die Weiterentwicklung von Kompetenzen und Skills im Team und für die Arbeit an den Rahmenbedingungen, die Teams vorfinden. Unsere Agile Coaches sind deswegen auf verschiedenen Levels unterwegs: Sie unterstützen Teams dabei, eigene Lösungen zu finden, und arbeiten oft parallel mit den Führungskräften. Man spürt auch, dass sich Zuschnitte in Abteilungen ändern, wenn man Agilität einführt.
Customer Centricity, Offenheit und fachübergreifende Teams sind nicht nur typisch für agile Methoden, sondern auch Kennzeichen unseres Innovationsprozesses Sherlock. Welche Berührungspunkte gibt es?
Der gemeinsame Nenner von Innovationsprozessen und agilen Frameworks ist es, dass Menschen in kurzen Rhythmen schnell dazulernen. Sehr klare Regeln und Schritte geben einen Rahmen vor, in dem man sich bewegt: Das beeinflusst zwar nicht den Inhalt, aber die Art und Weise der Zusammenarbeit. Darüber hinaus gibt es zumindest bei uns im Unternehmen einen fließenden Übergang: Der Innovationsprozess Sherlock startet in der Regel offen mit Ideation und Design Thinking. Ab einer gewissen Reife kann das Projekt dann in einen Scrum-Prozess übergehen.
Wohin geht die Entwicklung beim Thema Agilität?
Agilität ist Teil unseres Transformationsprozesses, weil wir erkannt haben: Mit den Methoden der Vergangenheit lösen wir keines der Probleme von heute und morgen. Eine geplante Entwicklung oder eine Endvision gibt es im engeren Sinne aber nicht. Damit alle Interessierten die Gelegenheit haben, sich mit agilen Prinzipien auseinanderzusetzen, bieten wir Lernformate an, damit sich jede:r damit auseinander setzen kann, wann Agilität Sinn macht und wann nicht. Das haben bereits rund 600 Kolleg:innen absolviert!
Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass alle Einheiten zumindest wissen, um was es bei Agilität geht. Wir wollen aber nicht erreichen, dass alle flächendeckend beispielsweise mit Scrum arbeiten. Die Grundfrage ist eher: Welches Problem wollt ihr lösen? Und dann schauen wir weiter.